Schon seit einiger Zeit liegt der Fokus auf der Reduktion des Gewichts der persönlichen Schutzausrüstung. Bisher schützt die Röntgenschürze die Körpervorderseite von Hals bis hinab zu den Knien mit einem einheitlichen Bleigleichwert.
Neueste wissenschaftliche Studien zeigen, dass ca. 80 % der effektiven Dosis für den Untersucher im Bereich von der Brust bis unterhalb der Gonaden auftreten, weil sich hier die besonders strahlenempfindlichen Organe wie Darm, Magen, Blase, Gonaden, Lunge und große Teile des aktiven Knochenmarks, befinden.
Die Effektivdosis kann wirkungsvoll reduziert werden, wenn das Strahlenschutzmaterial im prädestinierten Bereich konzentriert wird.
MAVIG hat als erster Hersteller von Strahlenschutzkleidung (PSA) eine regulatorisch zulässige und zertifizierte Schürzenkollektion entwickelt, die dieses Konzept umsetzt und somit deutlich leichtere Röntgenschürzen bzw. eine erhöhte Schutzwirkung ermöglicht – die neue Levio® Edition.
Diverse Studien beschäftigen sich mit der körperlichen Belastung durch das Tragen von Röntgenschutzkleidung [1] – [3] insbesondere an Arbeitsplätzen in der interventionellen Radiologie. Röntgenschutzkleidung zählt zu der Kategorie der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und deren Tragen gehört für Strahlenanwender alternativlos zum beruflichen Alltag. Eine mögliche Schädigung des muskuloskelettalen Systems der betroffenen Personenkreise wird bei langen Tragezeiten der Röntgenschutzkleidung als wissenschaftlich belegt angesehen. Diverse Studien beschäftigen sich mit der körperlichen Belastung durch das Tragen von Röntgenschürzen, insbesondere an Arbeitsplätzen in der interventionellen Radiologie.
Die Fachliteratur erkennt in diesem Zusammenhang ein erhebliches Risiko für orthopädische Schäden bei langfristig tätigen Strahlenanwendern. Persönliche Schutzausrüstung darf jedoch auch bei langen Tragezeiten nicht zu irreversiblen körperlichen Beeinträchtigungen führen.
Letztendlich fehlte es bis dato an Konzepten und Möglichkeiten, das hohe Eigengewicht der Schutzmittel maßgeblich zu reduzieren und somit zu einer wesentlichen körperlichen Entlastung der beruflich strahlenexponierten Personen beizutragen. Neueste Erkenntnisse [4] – [6] beschreiben nun die Notwendigkeit des Umdenkens im Strahlenschutz.
Die bis heute gültige Regel, dass allein der Bleigleichwert zur Bewertung der Schutzwirkung von Röntgenschutzkleidung dient, wird in den aktuellen Arbeiten kritisch betrachtet. Stattdessen wird die tatsächliche Dosisverteilung im Körper sowie die Strahlenempfindlichkeit der hauptsächlich exponierten Organe herangezogen. Die konsequente Anwendung dieses Konzepts, gestützt durch Computersimulationen, führt zu Röntgenschutzkleidung mit gleichem Schutz bei geringerem Gewicht bzw. mehr Schutz bei gleichem Gewicht.
MAVIG hat diese neuen Erkenntnisse mit dem Levio® Konzept als erster Hersteller erfolgreich umgesetzt.
Aufgrund der gesundheitsrelevanten Funktion der Röntgenschutzkleidung unterliegt diese rechtlichen Vorschriften, welche Abschirmeigenschaften und Design europaweit sowie auf nationaler Ebene regeln.
Dazu gehören in erster Linie:
VERORDNUNG (EU) 2016/425
des europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über
persönliche Schutzausrüstungen
DIN EN 61331-1:2016 / IEC 61331-1:2014
Strahlenschutz in der medizinischen Röntgendiagnostik
Teil 1: Bestimmung von Schwächungseigenschaften von Materialien
DIN EN 61331-3:2016 / IEC 61331-3:2014
Strahlenschutz in der medizinischen Röntgendiagnostik
Teil 3: Schutzkleidung, Augenschutz und Abschirmungen für Patienten
Die aktuellen Normen gehen von einer gleichmäßigen Materialverteilung am Körper auf der Basis des Bleigleichwertes aus und lassen keinen Spielraum für anwendungsspezifische Kriterien. Der Bleigleichwert stellt jedoch eine rein stoffliche Größe und kein direktes Maß aus Sicht des Gesundheitsschutzes dar.
Somit werden große Teile des Körpers (vom Hals bis zu den Knien) mit einem einheitlichen Bleigleichwert abgedeckt, ohne die untersuchungsspezifischen Dosisverteilungen einerseits und die unterschiedlichen Strahlenempfindlichkeiten der Organe andererseits zu berücksichtigen. Diese pauschale Vereinheitlichung im Aufbau der Schutzkleidung muss per se zu einer unnötig hohen Gewichtsbelastung führen.
Zuletzt gelang es vor gut zwei Jahrzehnten mit Einführung der bleireduzierten Schutzmaterialien, das Gewicht der Röntgenschutzkleidung deutlich zu reduzieren. Eine weitere Annäherung der beiden Leistungsmerkmale „hohe Schutzwirkung“ und „geringes Gewicht“ war seitdem nicht möglich.
Untenstehende Graphik stellt diesen Zusammenhang dar. Hierfür hat MAVIG von verschiedenen bleifreien und bleihaltigen (Vollblei und Bleicomposite) Schutzmaterialien den Bleigleichwert bestimmen lassen und diesen über dem Flächengewicht aufgetragen.
Man kann erkennen: Ein außergewöhnlich leichtes Material schützt entsprechend weniger gegen Röntgenstrahlung.
Diverse Schutzmaterialien im Gewichtsvergleich
Der Zusammenhang zwischen Bleigleichwert und Flächengewicht lässt nach aktuellen Kenntnissen keine weitere Gewichtsreduzierung der Schutzmaterialien zu (siehe Kapitel 1). Es müssen folglich neue Wege beschritten werden. Die Autoren Dr. Heinrich Eder und Dr. Helmut
Schlattl legen in ihren aktuellen Studien [4] – [6] völlig neue Ansätze für eine wesentliche Optimierung des Gewichts der Röntgenschutzkleidung bei gleichbleibendem bzw. höheren Schutz dar.
Es wird nicht mehr nur der Bleigleichwert, sondern
der auf der Effektivdosis basierende Schutzfaktor
einer Strahlenschutzschürze betrachtet.
Die effektive Dosis oder auch „Effektivdosis“ ist ein gewichtetes Ganzkörper-Dosismaß, das die unterschiedliche Strahlensensibilität von Organen und Geweben berücksichtigt und somit mögliche Langzeitschäden wie Strahlenkrebs und Leukämie am besten abbildet. Die Effektivdosis ist deshalb als Grundlage zur Festlegung von Körperdosen und Grenzwerten im Strahlenschutzgesetz verankert.
Der Schutzfaktor (bekannt von der Sonnenschutzcreme) sagt anschaulich gesprochen aus, wie lange man sich in einem Strahlenfeld aufhalten darf, im Vergleich zur Situation ohne Schutz. Beispiel: Der Schutzfaktor sei 50. Um einen vorgegebenen Grenzwert nicht zu überschreiten,
darf man sich 50 mal so lange in der betreffenden Strahlenumgebung aufhalten wie ohne Schutz.
Anstelle wie bisher Röntgenschutzkleidung an der rein stofflichen Größe Bleigleichwert zu bemessen, verdeutlichen nun auf der Effektivdosis basierende Schutzfaktoren die tatsächliche Schutzwirkung der persönlichen Schutzausrüstung.
Der strahlenbiologische (Effektivdosis basierte) Schutzfaktor wird anhand eines digitalisierten Phantoms berechnet. Die International Commission on Radiological Protection (ICRP) hat zu diesem Zweck ein weibliches und ein männliches hoch aufgelöstes digitales Referenzphantom des menschlichen Körpers erstellt, das alle Organe und Gewebe beinhaltet. Es ist die Grundlage für die Berechnung von Körperdosen.
In den Publikationen [4] – [6] wurden an typischen Arbeitsplatzsituationen (liegender Patient, Untersucher mit Blick zum Monitor etc.) diverse Monte-Carlo-Simulationen mit Hilfe des erwähnten anthropomorphen ICRP-Referenzmodells sowie umfangreiche Personendosismessungen an interventionellen Arbeitsplätzen durchgeführt.
Es konnte dabei gezeigt werden, dass ca. 80 % der effektiven Dosis des Untersuchers im Bereich von der Brust bis unterhalb der Gonaden auftritt, weil sich hier die besonders strahlenempfindlichen Organe, wie Dickdarm, Magen, Harnblase, Gonaden und große Teile des aktiven Knochenmarks befinden.
Ergebnisse:
Um die Effektivdosis möglichst wirkungsvoll zu reduzieren, muss daher das Strahlenschutzmaterial im Bereich von oberhalb der Brust bis unterhalb der Gonaden konzentriert werden. Röntgenschutzkleidung mit dieser optimierten Anordnung des Schutzmaterials ist bei gleicher Schutzwirkung deutlich leichter als herkömmliche Strahlenschutzkleidung. Ebenso ist durch den verstärkten Aufbau des Schutzmaterials im Bereich von Brust bis Gonaden bei gleichem Tragegewicht ein höherer Schutzfaktor möglich.
MAVIG hat als erster Hersteller von Strahlenschutzkleidung (PSA) eine regulatorisch zulässige und zertifizierte Schürzenkollektion entwickelt, die das vorgestellte Konzept umsetzt – die Levio® Edition.
Die Schutzkleidung der Levio® Edition besitzt eine Zusatzabschirmung für die strahlenempfindlichsten Organe von der Brust bis zu den Gonaden und bewirkt hier eine besonders starke Dosisreduktion. Das Schutzmaterial wird also dort appliziert, wo es besonders effektiv wirkt.
Beitrag der Organdosis des Strahlenanwenders zur Effektivdosis (%)
Aufgrund dieses Prinzips kann Röntgenschutzkleidung der Levio® Edition bei gleicher Abschirmwirkung leichter werden. Umgekehrt kann, unter Beibehaltung des Gewichts, Schutzkleidung mit höherer Abschirmung erzeugt werden.
Schutzfaktor-Gewichtsvergleich
Die Röntgenschutzkleidung der Levio® Edition besteht aus zwei Schichten des Strahlenschutzmaterials. Die erste lange Schutzschicht, die Basis-Schutzschicht, reicht bis zum Knie, wie in IEC 61331-3:2014 / DIN EN 61331-3:2016 Kapitel „5.2 Ausführung“ gefordert. Diese Basis- Strahlenschutzschicht wird im Mindestbleigleichwert einer Strahlenschutzschürze von 0,25 mm Pb ausgeführt.
Eine kürzere zweite Schicht Strahlenschutzmaterial, das Levio® Panel, wird im Bereich der besonders strahlensensiblen Organe von oberhalb der Brust bis unterhalb der Gonaden ergänzt, sodass das komplette Brustdrüsengewebe bis einschließlich der Gonaden abdeckt ist.
Um hierbei den größtmöglichen Effekt bei der Gewichtsreduktion zu erzielen, fertigen wir das Levio® Panel personenspezifisch anhand der jeweiligen Körpermaße an und fertigen so für jeden Strahlenanwender die individuell passende Röntgenschutzkleidung. Das vorgestellte Konzept und die daraus resultierende Weiterentwicklung der Röntgenschutzkleidung kann anwenderspezifisch bei diversen MAVIG Modellen umgesetzt werden.
Position von oben:
Messen Sie am Hals von der Schulter (dort, wo sich später das innere Ende der Schulternaht befinden wird) bis zum Beginn der Brust. Die Brust beginnt anatomisch gesehen ca. bei der zweiten Rippe. In etwa sollte sich diese mittig zwischen dem Schlüsselbein und den Mamillen befinden.
Länge:
Messen Sie am Hals von der Schulter (dort, wo sich später das innere Ende der Schulternaht befinden wird) bzw. von der Taille im Falle eines Rockes bis unterhalb der Gonaden. In den meisten Fällen sollten diese abgedeckt sein, wenn Sie bis ca. 10 cm unterhalb des Schritts messen. Um jederzeit den Bereich des verstärkten Schutzbereichs visualisieren zu können, ist dieser auf der Innenseite der Schutzkleidung farblich hervorgehoben.
Modell, Farbe, Strahlenschutzmaterial und Außenmaterial wählen Sie wie gewohnt nach Belieben aus. Auch den Bleigleichwert des Levio® Panels können Sie selbst bestimmen: beispielsweise 0,175 mm Pb um einen Gesamt-Bleigleichwert von ca. 0,42 mm Pb zu erreichen (Basis-Schutzschicht 0,25 mm Pb + Levio® Panel 0,175 mm Pb).
Um den Bleigleichwert für Sie klar darzustellen, werden beide Bleigleichwerte des Vorderteils durch einen Schrägstrich getrennt auf dem Label der Röntgenschutzkleidung angegeben, beispielsweise 0,25 mm Pb / 0,42 mm Pb. Der Bleigleichwert im Rückenbereich der Rundumschutze RA631 (Kostüm) und RA632 (Mantel) in der Levio® Edition bleibt, wie normativ gefordert, bei 0,25 mm Pb.
Selbstverständlich haben wir die Levio® Edition nach allen gültigen Normen von einer externen benannten Stelle zertifizieren lassen. Alle Modelle erhalten daher das bekannte CE 0302 und erfüllen jegliche gesetzliche Anforderungen. Es gilt natürlich weiterhin und unabhängig von dem vorgestellten Konzept, dass möglichst viel Schutz durch bauseitigen Strahlenschutz erzeugt werden sollte. Hierzu zählen in erster Linie Unterkörperschutze, die am Tisch montiert werden sowie deckenmontierte Strahlenschutzscheiben. Sofern die spezifische Intervention es zulässt, sollte zusätzlich mit Strahlenschutzabdeckungen, die auf den Patienten gelegt werden, gearbeitet werden.
In ihren Publikationen [4] – [6] gehen die beiden Autoren Dr. Heinrich Eder und Dr. Helmut Schlattl sogar einen Schritt weiter und formulieren eine Forderung zur Änderung der aktuellen Vorschriften. Laut ihren Untersuchungen wäre es möglich die Schutzkleidung insgesamt zu kürzen. Mit dieser Maßnahme kann man natürlich noch einmal einen erheblichen Anteil an Gewicht einsparen.
Die Strahlenschutzschürzen hätten dann eine Basis-Lage Strahlenschutzmaterial, die vom Hals bis ca. 10 cm unterhalb des Os Pubis (Schambein) gehen würde. Zusätzliche würde mit einer weiteren, kürzeren Lage, der Bereich von oberhalb der Brust bis unterhalb es Os Pubis geschützt werden.
Konzepts könnte laut den Berechnungen der Autoren bei den üblichen untersuchungsspezifischen Bedingungen bei einem Schutzfaktor von 50 sogar eine Gewichtsreduktion von bis zu 40 % gegenüber einer derzeit üblichen Schutzschürze erreicht werden. Dies lässt sich jedoch zum aktuellen Zeitpunkt nicht mit der derzeit gültigen Norm IEC 61331-3:2014 / DIN EN 61331-3:2016 vereinbaren. Vielleicht wird es aber einen Anstoß zum Umdenken darstellen.
[1] „Catheterization and Cardiovascular Interventions“ Goldstein, J., et al Occupational Hazards of Interventional Cardiologists: Prevalence of Orthopedic Health Problems in Contemporary Practice (2004)
DOI 10.1002/ccd.20201
[2] „Cardiovascular Revascularization Medicine“ Smilowitz, N., et al Occupational hazards of interventional cardiology (2013) http://dx.doi.org/10.1016/j.carrev.2013.05.002
[3] „Journal of the American College of Cardiology“ Orme, et al Occupational Health Hazarrds of Working in the Interventional Laboratory (2015) DOI: 10.1016/j.jacc.2014.11.056
[4] „Der Radiologe“ Eder, H., Schlattl, H. Neues Schutzkonzept: Optimierte Röntgenschürzen könnten 50% leichter sein. Radiologe (2021) https://doi.org/10.1007/s00117-021-00809-3
[5] „Physica Medica“ Eder, H., Schlattl, H. Shielding effectiveness of X-ray protective garment. Physica Medica (2021) https://doi.org/10.1016/j.ejmp.2021.01.081
[6] „Journal of Radiological Protection” Eder, H., Schlattl, H. Use of effective dose to assess X-ray protective clothing. J. Radiol. Prot. (2021) https://doi.org/10.1088/1361-6498/ac191a)